Die Staatsschulden oder wahlweise die demographische Entwicklung sollen in der Hand der Regierungen als Hebel für die Erhöhung des Renteneintrittsalters und die weitere Zertrümmerung der Renten dienen

Die Wahl in Sachsen-Anhalt, auf die wir gesondert eingehen werden, oder die aktuelle Renten-»Debatte«, initiiert von Regierungen und ihren »Experten«, verdeutlichen schlaglichtartig die Notwendigkeit des Aufbaus einer unabhängigen Arbeiterpartei, die allein den Interessen der Werktätigen verpflichtet ist.

Diskussionsbeitrag vom Komitee für eine Arbeiterpartei (6-2021)

Wiederinkraftsetzen der Maastricht-Kriterien und der Schuldenbremse

Die Europäische Kommission fordert die Wiederinkraftsetzung der Maastricht-Kriterien mit den definierten Schuldenobergrenzen. Danach darf das jährliche Haushaltsdefizit nicht höher als 3% des BIP betragen und die Gesamtverschuldung darf nicht über 60% des BIP liegen. Es drohen europaweit härteste Sparprogramme. C. Lagarde, die Präsidentin der EZB fordert dafür den härtesten Wettbewerb und die »natürliche Auswahl der Unternehmen«. Das Kölner Institut der Deutschen Wirtschaft sieht dafür in Deutschland 5.000 »Kandidaten«.

Wir wissen, dass sind hunderttausende von Kolleginnen und Kollegen, die auf die Straße geworfen werden sollen.

Die EU und ihre Institutionen verlangen von den Regierungen, diese Programme vorzubereiten. Dabei sind sie keinesfalls sicher, wie sie die zu erwartenden politischen und sozialen Explosionen verhindern, oder zumindest dämpfen können. Die Revolte gegen die Diktate der Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF, nach der Krise von 2007/2008 in Spanien, Portugal und Griechenland ist noch in frischer Erinnerung.

Doch sie müssen handeln, im Interesse der Profitmaschinerie und der Spekulation. Die Wiedereinführung der Schuldenbremse in Deutschland steht für den Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidaten O. Scholz ab 2023 nicht in Frage. Die Grün-Schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg oder der Rot-Rot-Grüne Senat in Berlin bereiten ebenfalls die Einhaltung der Schuldenbremse vor.

Alle an einem Strang – gegen die Werktätigen!

In Frankreich hat die Regierung unter Präsident Macron ihr Konjunkturprogramm vorgestellt. Und Wirtschaftsminister Le Maire erklärte am 27.4.2021 in Brüssel, dass sich die Regierung verpflichtet, so wie die EU-Kommission dies seit mehreren Jahren fordert „die Notwendigkeit einer Reform des Rentensystem“ auf die Tagesordnung zu stellen, um „die Staatsverschuldung zu reduzieren“. Es ist absolut kein Zufall: Am 16.4.2021 fordern in Deutschland »führende Wirtschaftsforschungsinstitute« angesichts der »coronabedingten Staatsschulden« eine Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 70. Der Kanzlerkandidat von CDU/CSU, Laschet, schließt sich an: „Wir brauchen eine längere Lebensarbeitszeit“. Am 8.6.2021 ziehen die Berater von Wirtschaftsminister Altmaier nach und setzen die neue Hürde auf 68.

O. Scholz sagt, es sei „unsozial, was dort vorgeschlagen wird“ (Tagesschau, 8.6.2021) und D. Bartsch, Fraktionsvorsitzender »Die Linke« meint, die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 68 sei völlig inakzeptabel (AFP, 8.6.2021) und die Ko-Vorsitzende der Partei, Henning-Wellsow fordert von Altmaier, das Gutachten „sofort“ zu „kassieren“. Falls er das nicht tue, beginne „morgen der Rentenwahlkampf“ (FR, 8.6.2021). Altmaier und die bürgerlichen Parteien fallen vermutlich in Schockstarre angesichts solcher »Kampfansagen«. Und Scholz, Bartsch, Henning-Wellsow etc. haben einen Tag nach der Wahl in Sachsen-Anhalt offenkundig das Ergebnis noch nicht registriert oder verstanden.

Ein Blick zurück: Schröders Agenda 2010

Das alles ist nicht neu: Unter dem Titel »Wahrung des Wohlstandes in einer alternden Gesellschaft« hat die OECD 1999 einen Bericht vorgelegt, der einem Ministerauftrag von 1996 und dem G 7-Wirtschaftsgipfel in Denver 1997 entsprach. Die Altersgrenze von 70 Jahren für den Renteneintritt ist seitdem Position der OECD. Dabei geht sie sehr klar davon aus, dass damit die Rentenversicherung von beiden Seiten her »entlastet« wird: Durch den späteren Eintritt ins Rentenalter und den früheren Tod aufgrund längerer Lebensarbeitszeit.

In Deutschland hat dementsprechend im Rahmen der Agendapolitik Schröders und seines Arbeitsministers Riester, zuvor stellvertretender Vorsitzender der IG Metall, Kurs auf die Zerstörung der Rente genommen: „Die Altersgrenze bei der Altersrente für Schwerbehinderte wird von 60 auf 63 erhöht.“ (Koalitionspapier vom 30.5.2000) Es folgen die Maßnahmen der Deregulierung und des Lohndumpings – die berüchtigten Hartz-Gesetze – wofür die Gewerkschaften gewonnen werden sollen und auch in der Gruppe um Hartz mitarbeiten. Und es geht um die Senkung der Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung, verbunden mit dem Ziel der Privatisierung der Rente zugunsten der Spekulanten (Riester-Rente u.a. »Produkte«)

Der DGB schreibt in einer Erklärung von 6.6.2000, »DGB lehnt Rentenkonzept der Koalition ab«: vom 6.6.2000 (PM 126): „Auf diese Weise wird das Rentenniveau von heute 70 Prozent bis zum Jahr 2050 auf 54 Prozent gesenkt.” Ursula Engelen-Kefer, damals stellvertretende DGB-Vorsitzende, befürchtete eine „beitragsfinanzierte Sozialhilfe“. Wer heute diese Befürchtung liest, reibt sich verwundert die Augen, denn das vor 21 Jahren vom DGB befürchtete Rentenniveau wurde von der Realität der politischen Entscheidungen bis heute schon längst unterschritten!

Rentenpolitik ist Arbeiterpolitik – was sonst?

Wenn wir eintreten für den Aufbau einer Arbeiterpartei, dann setzt das voraus, dass wir konsequent eintreten für die Umsetzung von Arbeiterpolitik, Politik im Interesse der Werktätigen, unabhängig und nicht den Interessen anderer gesellschaftlicher Klassen, sondern einzig und allein den Interessen der arbeitenden Bevölkerung verpflichtet.

Die Lebensbedingungen der alten, ehemaligen Werktätigen – insbesondere der Frauen – stehen in besonderer Weise im Zentrum unserer politischen Initiativen.

Die politischen Entscheidungen der zurückliegenden Jahrzehnte gegen die Rente und das sozialversicherungspflichtige, tarifvertraglich geschützte auf Vollzeit ausgerichtete Normalarbeitsverhältnis müssen zurückgenommen werden: Rücknahme der Rente mit 67, Rücknahme der Entwertung der Rente auf das Niveau der Armutsrente, Rücknahme von Hartz, insbesondere Hartz-IV und aller politischen Entscheidungen zur Prekarisierung der Arbeit; es geht also um die Rücknahme aller politischen Entscheidungen, die das Ziel hatten und haben, den Wert der Ware Arbeitskraft zu senken.

Arbeiterpolitik, wie wir sie verstehen, ist demnach zuerst der Kampf zur Verteidigung der Arbeitskraft, gegen ihre Entwertung, gegen Prekarisierung, Deregulierung und Niedriglohn. Das ist auch Sache der Gewerkschaften, aber als politischer Kampf ebenso eigenständig.

Altersarmut

Die gegenwärtige Rente ist ohne Altersarmut nicht denkbar und nicht zu haben.

Von Altersarmut sind primär betroffen Frauen, da sie vorwiegend in Teilzeit, Minijobs, in Jobs arbeiten müssen, die schlecht bezahlt werden, in der Regel außerhalb der tariflichen Sicherung (siehe Pflege).

Aber auch alle Geringverdiener, zumeist in prekären Beschäftigungsverhältnissen, zumeist befristet, woraus die »gebrochenen Arbeitsbiografien« nahezu zwangsläufig entstehen.

Um im Alter über der Armutsgrenze zu liegen, muss ein Beschäftigter im gesamten Arbeitsleben den jährlich errechneten Durchschnittsverdienst erreichen: 2020 ca. 3000€ monatlich, das bedeutet ein Rentenpunkt. Der Wert liegt bei ca. 35 € und nach wie vor sind die Kolleginnen und Kollegen im Osten schlechter gestellt. Die Forderung nach sofortigen Angleichung Ost an West beinhaltet in jedem Fall die Rente.

Es ist also entscheidend, immer gearbeitet zu haben – was heute kaum jemanden gelingen kann – um mindestens einen Rentenpunkt je Arbeitsjahr zu erreichen. Neben der Reduzierung der Rentenhöhe im Verhältnis zum vorausgegangenen Lohn, setzt hier der 2. Hebel zur Verarmung im Alter an.

1,1 Millionen erhalten Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Es ist bekannt, dass ein riesiger Teil der Anspruchsberechtigten den Gang zum Amt aus Scham gar nicht erst antritt. Während keine politische Entscheidung zum Kampf gegen Altersarmut getroffen worden ist, wurde alles daran gesetzt die gesetzliche Rente zu schwächen. Inzwischen liegt das Rentenniveau bei rund 48 % mit der Tendenz, der weiteren Absenkung bis zur »Haltelinie« von 43%…

Leiharbeit war – im Westen – bis zum Jahr 1972 verboten. Nach verschiedenen Deregulierungen im Arbeitsförderungsgesetz durch die Kohl-Regierungen, wurde Leiharbeit erst durch die Hartz-Gesetze richtig lukrativ: der Bestandsschutz für Arbeitslose wurde gestrichen, man musste jeden Job annehmen. Qualifizierung, Facharbeiter, Studium, Verdienst, alles wurde entwertet.

Das war das Einfallstor zum Billig- und Niedriglohnsektor.

Es geht also um die politischen Entscheidungen zur Senkung des Wertes der Ware Arbeitskraft über einen Zeitraum von inzwischen 50 Jahren. Maßgeblich vorangetrieben von den bürgerlichen Parteien im Westen und nicht zuletzt mit der Agendapolitik von SPD und Grüne. Aber auch immer wieder »kritisch« begleitet durch die Führungen der DGB-Gewerkschaften.

Bruch mit der Agenda-Politik, Schluss mit Armutslöhnen und der Plünderung der Rentenkasse

Mit der Riester-Rente wurde die gesetzliche Rente weiter geschwächt. Sie öffnete der Privatisierung der Rente und ihre Unterwerfung unter die Interessen der Spekulation das Tor. Leisten können sich diese »Rente« nur diejenigen, für die verschmerzbar ist, den Bruttoverdienst zu schmälern.

Insbesondere unter der Jugend soll jedes Verständnis und Vertrauen in die gesetzliche Rente unterminiert werden. Damit sollen den Versicherungskonzernen weitere Milliarden gesichert und der Rentenkasse entzogen werden. Ausgerechnet von denen, die mit aller Gewalt die beitragsbasierten Renteneinnahmen (2019: 248 Mrd. Euro aus Beiträgen der Versicherten – »Arbeitgeberbeiträge« sind vorenthaltender Lohn!) in die Spekulation überführen wollen, wird insbesondere die Jugend regelrecht aufgehetzt. Die Jugend soll mit dem »Generationenvertrag« brechen und sich stattdessen der privaten Absicherung zuwenden. Sie wird belogen und betrogen mit den angeblichen Vorteilen der privaten Absicherung, die allein die Spekulanten reicher macht. Dazu sagen wir unmissverständlich Nein! Wir treten dafür ein, mit der Jugend zusammen eine solidarische Rente zu entwickeln, in der niemand mehr Angst vor Altersarmut haben muss. Wir sagen Schluss mit dem Diebstahl aus den Rentenversicherungseinnahmen. Seit 1957 waren es über 800 Mrd. Euro (vgl. ver.di SeniorInnen im Fachbereich 8, Berlin-Brandenburg 11-2019), die – ohne jeden Ausgleich – für versicherungsfremde Leistungen der Rentenkasse entnommen worden sind. Betonen wir es noch einmal: Das sind unsere Beiträge, die Beiträge der Werktätigen. Schluss auch mit der jetzigen Berechnung des zu erwartenden Entgeltspunktes für das Jahr. Ausgangspunkt dafür ist immer die Festlegung auf den Jahresbrutto-Durchschnittlohn, der 2021 41.541,00 Euro betragen muss. D.h. notwendig ist ein monatliches Bruttoentgelt von 3.461,75 Euro. Im Westen hat ein Entgeltpunkt im Jahr 2021 den Wert von 33,23 Euro und im Osten 31,89 Euro. (Quelle BMAS)

Wir brauchen endlich eine Rente, die nicht gleichzusetzen ist mit dem Absturz in die Armut.

Dafür müssen jetzt in den anstehenden Landtagswahlen und der Bundestagswahl die Kandidatinnen und Kandidaten, die im Interesse der Werktätigen kandidieren wollen, eine Position einnehmen, z.B. in dem Sinne der Einbeziehung aller in Deutschland Arbeitenden, ohne Einkommensgrenze und die Erhöhung des Rentenniveaus auf zunächst mindestens 54%. Rücknahme der Rente mit 67.

Schluss mit Armutslöhnen! Verbot jeder Tarifflucht, Allgemeinverbindlicherklärung der Tarifverträge.

Aber ebenso: Bezahlbarer Wohnraum für alle, Überführung der Vorsorge, Krankenhäuser, Senioreneinrichtungen usw. in kommunale Verantwortung, Ausbau des ÖPNV, weg vom Auto.

Wir brauchen die Entscheidung der Gewerkschaften zur sofortigen Mobilisierung gegen alle Pläne der Anhebung des Renteneintrittsalters. Gewerkschaften und Kandidatinnen und Kandidaten der Werktätigen gemeinsam: Für Tarifverträge, Löhne, die zum Leben reichen, Rente, die zum Leben reicht. Auf dieser Grundlage der vereinten Mobilisierung können die Angriffe auf die Löhne und die Renten gestoppt werden, werden nicht zuletzt die Gewerkschaften neue Mitglieder gewinnen.