Für wen spricht die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi?

Mit Scholzens »Bazooka« zu Beginn der COVID-Pandemie wurde ein »Rettungspaket« im Volumen von 1,2 Billionen Euro geschnürt – verabschiedet mit der einstimmigen Unterstützung durch den Bundestag am 25.3.2020. Während folglich Milliarden an die Konzerne flossen, stürzten Millionen Haushalte der Werktätigen, der Studenten, der Rentner angesichts der Schließung der Produktion, der Dienstleistungsbereiche etc. in große materielle Not. Konzerne strichen horrende Summen ein und münzten die Geschenke um in Entlassungen zehntausender Kolleginnen und Kollegen.

Die beiden Pandemiejahre waren »Rekord-Profit-Jahre« der Konzerne. Die Aktionäre jubelten, die Gewerkschaften wurden zur »Lohnzurückhaltung« aufgefordert und sollten »Augenmaß« an den Tag legen.

Dann folgt im Jahr 2022 der »Doppelwumms«: Scholz stellt nochmals 200 Milliarden zur Entlastung von hohen Energiepreisen zur Verfügung. Hatten die Konzerne – z.B. Daimler – 2020 ein »Rekordjahr« zu verzeichnen, allein Daimler rund 700 Mio. Euro Kurzarbeitergeld erhielt und die Aktionärsdividenden um die Hälfte auf 1,4 Mrd. Euro erhöhte, soll es mit den »Energiehilfen« für die Konzerne jetzt etwas weniger raffgierig zugehen. Die Zahlung von Boni an Vorstände, Geschäftsführer und Aufsichtsräte werden etwas eingeschränkt. BDI-Präsident Russwurm konterte umgehend: „Die Politik legt mit ihrer Ignoranz gegenüber den betrieblichen Realitäten die Axt an die Grundpfeiler des Standorts Deutschland“. (vgl. ntv, 14.12.2022)

Das Ultimatum der Kapitalisten ist klar und Russwurms Drohungen mit Betriebsverlagerungen und der massiven Zerstörung von Arbeitsplätzen in der Industrie ist nicht getragen von der Sorge um die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten, sondern einzig und allein von der Profitgier – der tatsächlichen Ursache der seit Jahren zunehmenden Entindustrialisierung in Deutschland.

Was ist für wen »existenzbedrohend« und weshalb?

Russwurm und »Kollegen« erhalten in dieser Situation Schützenhilfe von der DGB-Vorsitzenden Y. Fahimi, die gegenüber dpa (vgl. »Spiegel«, 29.12.2022) warnt, es sei „wirklich existenzbedrohend, was sich derzeit in der Industrie abspielt.“ Y. Fahimi warnt vor dem Abbau zahlreicher Arbeitsplätze in diesem Jahr. Die Haltung der Russwurm und Konsorten stellen für sie „normalen Mechanismen der Marktwirtschaft“ und sie belehrt die, die dies lesen: „Es mag ja sein, dass die einem nicht gefallen. Aber jetzt ist nicht die Zeit für kapitalismuskritische Grundsatzdebatten, sondern für effektives Handeln in der Realität.“ Mit dem Ausschluss von Dividendenzahlungen in der jetzigen Situation nehme man billigend in Kauf, „dass in Deutschland das Risiko der Deindustrialisierung größer wird“.

Christine Behle, die stellvertretende ver.di-Vorsitzende erklärt dazu: „Solch eine Aussage hätte ich vom BDI erwartet, nicht von einer DGB-Vorsitzenden.“

Existenzbedrohend für wen?

Für die Kolleginnen und Kollegen, die von einem historischen Reallohnverlust getroffen sind, die nicht mehr wissen, wie sie die Lebenshaltungskosten bestreiten sollen, die sich einer massiven Entindustrialisierungswelle gegenübersehen…?

Nach Angaben des WSI (13.12.2022) und ausgehend von der Einschätzung des Statistischen Bundesamtes („Die Verbraucherpreise stiegen im Jahresdurchschnitt 2022 voraussichtlich um 7,9 %“), erleiden die Beschäftigten in Deutschland einen Reallohnverlust von 4,8%, soviel wie nie in der Geschichte der BRD.

Ist es existenzbedrohend, wenn die Renten zum Leben nicht reichen? (vgl. Sozialpolitik-aktuell.de) „Im Jahr 2021 sind mit ca. 1,3 Mio. weitaus mehr Personen im Alter ab 65 Jahre erwerbstätig als noch im Jahr 2000 (372 Tsd.).“ Die Zahl derjenigen, die trotz Rente arbeiten gehen muss hat sich demnach fast verdreifacht.

In diesen Tagen (vgl. mdr, 16.1.2023) erfahren wir, Deutschland war schon vor COVID und der Inflation eines der Länder mit der höchsten Ungleichheit der privaten Vermögen. Das zwischen 2020 und 2021 erwirtschaftete Vermögen in Deutschland ging zu 81 Prozent auf die Konten von einem Prozent der Bevölkerung. Die restlichen 99 Prozent »teilen« sich19 Prozent. Die ärmsten 50 Prozent der Bevölkerung »besitzen« 1,3 Prozent des Vermögens.

Weshalb also besteht eine Existenzbedrohung?

Ende 2021 erklärte der Paritätischem Wohlfahrtsverband: „Mit 16,6 Prozent mussten 2021 13,8 Millionen Menschen in Deutschland zu den Einkommensarmen gerechnet werden. Noch nie wurde auf der Datenbasis des Mikrozensus eine höhere Armutsquote für das Bundesgebiet gemessen.“ Am 14.7.2022 meldeten die »Tafeln«, die mehr als 2 Mio. Menschen mit Lebensmitteln versorgen: „60,71 Prozent der Tafeln verzeichnen einen Zuwachs von bis zu 50 Prozent bei ihrer Kundschaft; 22,6 Prozent der Tafeln unterstützen bis zu doppelt so viele Menschen wie noch vor einem halben Jahr. Bei 7,59 Prozent hat sich die Zahl der Kundinnen und Kunden verdoppelt und bei 8,94 Prozent sogar mehr als verdoppelt.“

Die existenzbedrohende Lage ist das Resultat einer Politik, die im System des Privateigentums an den Produktionsmitteln die Basis für die Explosion des Reichtums auf Basis der Explosion der Profite zugunsten der Konzerne legt. Sie legt damit zugleich die Basis für die Verarmung einer wachsenden Zahl in der Bevölkerung.

Also fragen wir Yasmin Fahimi: Ist es angesichts dieser dramatischen Entwicklung nicht länger die einzige Aufgabe unserer unabhängigen Gewerkschaften, die Interessen der Werktätigen gegenüber dem Kapital und seinen Regierungen zu vertreten? Gehört dazu nicht der beharrliche Kampf um Löhne und Tarifverträge, die vor Reallohnverlust und Armut schützen? Geben wir die Unabhängigkeit der Gewerkschaften auf zugunsten ihrer vollständigen Integration in die »Sozialpartnerschaft« und den Burgfrieden?

Wir wissen: Der Verzicht auf diesen Kampf wäre tatsächlich existenzgefährdend für die Gewerkschaften!

Scholz und seine »Ampel« brauchen angesichts ihres Kriegskurses im inneren und äußeren diese Burgfrieden, die Unterstützung seines Kurses durch die Führungen der Gewerkschaften.

Aber – nochmals – das gefährdet die Existenz der Gewerkschaften

Die Gewerkschaften sind unsere Organisationen, verbunden mit der Existenz unserer Errungenschaften. Unsere Gewerkschaften und unsere Errungenschaften sind untrennbar. Die Verteidigung der Unabhängigkeit der Gewerkschaften ist die Grundlage der Verteidigung unserer Errungenschaften – und umgekehrt!

Die Regierung Scholz handelt gegen den Willen der großen Mehrheit – sowohl hinsichtlich ihrer Kriegspolitik, als auch hinsichtlich ihrer Angriffe auf unsere Errungenschaften – von der Rentenpolitik über die Bildungspolitik bis zur Gesundheitspolitik…

Allein der Wille der Mehrheit, die Demokratie verlangt, dass diese Angriffe zurückgezogen werden. Dafür brauchen wir die ganze Kraft unserer Organisationen und die Einheit aller Werktätigen und der Jugend. Und diese Einheit brauchen wir von oben nach unten und von unten nach oben mit und in unseren Organisationen, gegen jede Form der Spaltung und Zersplitterung, die immer nur Regierung und Kapital Nutzen bringt.

Mit ihrer Position an der Seite der Vertreter der Konzerne spricht Yasmin Fahimi nicht in unserem Namen.